OKAERI review in german (text version)

Miriam/Roger Fischer mrfischer
Mon Sep 14 08:49:53 EDT 1998


OKAERI
Regie: Makoto Shinozaki
Japan 1995

Roger Fischer

Sobald ein kultureller Interpretationsfilter funktioniert, schauen die
Augen nicht mehr. Geben wir ihnen das Recht zu sehen zurueck, und damit
dies moeglich wird, muss man die Leinwand fixieren, von einem Bild zum
anderen wechseln und keinem den Vorzug geben.
Shigehiko Hasumi, Kantoku Ozu Yasujiro

Man koennte Shinozakis Okaeri ganz gut mit Il Deserto Rosso (1964) von
Michelangelo Antonioni vergleichen und dabei auch gleich das zugehoerige
soziologische Kritikerbegriffsarsenal hevorkramen: Auch heute machen sich
Woerter wie "Entfremdung", "Inkommunikabilitaet", "Veraeusserlichung" usw.
ja nicht schlecht. Die Frage stellt sich, ob man Antonioni oder Okaeri so
je gerecht wird. Shigehiko Hasumis* Zitat aus seinem kuerzlich ins
Franzoesisch uebersetzte Ozu-Buch koennte uns hingegen helfen, Okaeri auf
eine direktere Art und Weise zu betrachten, den Film voellig neu zu sehen.

Fenster zur (unbekannten) Welt
Okaeri beginnt mit einer jungen Frau, die an einem Fenster steht und auf
eine Strasse hinunterblickt. Gleichzeitig hoert man ein raetselhaftes
Geraeusch. Fast schon wie in einem Science-Fiction, dazu noch in einem
Raum, der an ein rekonstruiertes Bild des Fotografen Thomas Demand
erinnert. Doch dann merkt man, dass dieses Geraeusch nichts anderes ist als
die Stimme aus einem Diktaphon und dass wir uns in einer ganz normalen
japanischen Appartmentwohnung, dem Heim von Yuriko und Takashi Kitazawa,
befinden, wo Yuriko am Computer einen Text transkribiert.

Dieser erste Ausschnitt zeigt bereits die Wichtigkeit der Tonebene auf, die
in Okaeri Welten voneinander trennt. Auch die Vermutung, dass es sich hier
um einen Science-Fiction handeln koennte, ist so abwegig nicht. Zumindest
entwirft der Film behutsam einen hoerbar utopischen Raum, was dem
Sichtbaren zuletzt vollstaendig die gewohnte Festigkeit entzieht. Der
anfaengliche Blick aus dem Fenster zeigt bereits an, wo der Film Yuriko
hinfuehren wird, von innen nach draussen, waehrend ihr Mann die umgekehrte
Bewegung vollziehen wird.

Entfernung und Parallelitaet
Eine Viertelstunde spaeter im Film sind wir bei Takashi, in dessen
Schulklasse. Es geht um die runde Erde, um Galileo, seine Widersacher und
darum, dass "diese gegen eine solche Vorstellung waren". Am Abend des
gleichen Tages geht er mit seinem Lehrerkollegen in einem kleinen
Restaurant essen und vergisst dabei sein leicht hingeworfenes Versprechen
vom gemeinsamen Abendessen mit Yuriko. Leicht haette hier der Film in eine
einfache Verurteilung des Ehemannes kippen koennen, doch zeigt Shinozaki
gerade in dieser Szene der groesstmoeglichen Entfernung der Ehepartner die
Parallelitaet ihrer Empfindungen auf. Noch ist Verstaendnis zwischen den
beiden nicht moeglich, dafuer braucht es erst den Bruch mit dem Alltag, der
von Yuriko herbeigefuehrt werden wird. Takashi erzaehlt von seinem Wunsch,
das Meer von seinem Fenster aus sehen zu koennen. Als sein Arbeitskollege
von der Langeweile in seiner zehnjaehrigen Ehe berichtet und Takashi zu
seiner noch jungen Beziehung beglueckwuenscht, wehrt sich dieser gegen
diese allzu romantische Vorstellung und zeigt damit seine eigene
Unzufriedenheit mit dem gegenwaertigen Zustand auf.

Wie Takashi nach Hause kommt, steht Yuriko im Dunkeln am offenen Fenster.
Sie hat gekocht, und sie hat gewartet. Er entschuldigt sich, indem er isst.
Sie ist nicht wuetend. Nur traurig. Ohne es zu sagen, vielleicht auch ohne
es zu wissen, ist es das letzte Mal, dass sie auf ihn wartet, dass sie
"Okaeri", "Willkommen zuhause", sagt. Von jetzt an wird sie "die
Organisation" im Auge behalten, indem sie draussen "patroulliert", und ihr
Mann wird auf sie warten, sich ihr naehern muessen. Dass dabei kein Buch
ueber Schizophrenie helfen kann und auch kein Arzt und kein Spital, wird
Takashi erst allmaehlich klar.

Blick aufs (gemeinsame) Meer
Interessanterweise passt sich gerade im Spital die Realitaet Yurikos
Verschwoerungsszenario an und Takashi schafft es gegen den Widerstand
dieser Institution, ihr Vertrauen hier langsam wiederzugewinnen. Es soll
nicht verschwiegen werden, dass der Film hoerbar am Meer endet. Am
Zuschauer liegt es zu entscheiden, was fuer einen Bezug zwischen Ton und
Bild er herstellen und welcher Sichtweise er somit den Vorzug geben will.

* Shigehiko Hasumis Einfluss auf Makoto Shinozaki ist nicht zu
unterschaetzen. Shinozaki nahm Kurse bei Hasumi und hat dessen Konzeption
des Kinos, die Hasumi in seinem 1983 erschienenen Ozu-Buch (eine
ausfuehrlichere Buchkritik folgt im naechsten Zoom) dargelegt hat,
adoptiert. Eine wichtige Nebenrolle in Okaeri ist denn auch mit dem
Ozu-Schauspieler Aoki Tomio besetzt, der in Shinozakis naechstem Spielfilm
in einer Hauptrolle zu sehen sein wird. 


Miriam Fischer Roger Fischer
mrfischer at access.ch
Tel/Fax ++41 1 401 36 39




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